How to Kunst ohne Kaffee
Kaffee ist der Sinn des Lebens. Das weiss jede Künstlerin. Was passiert also, wenn man auf ihn verzichtet?

Datum

von Angelina

Kaffee ist der Dreh- und Angelpunkt eines glücklichen Lebens. Beim ersten Kaffee beginnt der Tag und endet die Nacht. Das ist der Moment, in dem die tägliche Zeitrechnung von Neuem beginnt. Hier teilt sich das Sein in Vergangenheit und Zukunft. Hier kreiert das Aroma von gemahlenem Kaffee pure Gegenwart. Hier ist. Kaffee.

Der Bremer Kaffee-Importeur Ludwig Roselius hatte den Verdacht, dass Koffein seinen Vater umgebracht hat. Deshalb entwickelte er 1903 ein Verfahren zur Entkoffeinierung von Kaffee. Ich glaube, dass mein Vater seinen tödlichen Herzinfarkt mithilfe von Koffein vorgezogen hat. Aber das wusste ich vor 20 Jahren noch nicht. Ich war jung, mein Vater lebte. Also begann ich so früh wie möglich Kaffee zu trinken und mit 17 schrieb ich in meiner ersten eigenen Wohnung bereits routiniert Essays mit Hilfe von ADS, Zigaretten und Espresso – bis spät in die Nacht. Trotz angeborener Schlafstörungen behielt ich ein ungesundes Mass an Kaffeekonsum über Jahre bei. Ich merkte, dass meine Toleranz ständig abnahm und mit 25 war es soweit: Ich musste die Anzahl Espressi reduzieren und den letzten auf die Mittagszeit vorverlegen. Schon bald darauf trank ich den letzten morgens um 10, damit ich überhaupt noch schlafen konnte. Von hier reduzierte es sich auf einen einzigen Espresso zum Frühstück.

Nulltoleranz

Jetzt war es plötzlich nur noch ein kleiner Schritt zu einem wahnwitzigen Selbstversuch: gar kein Kaffee mehr. Und eines grauen Morgens tat ich es. Ich wollte wissen, ob ein natürlicher Schlaf-Wach-Rhytmus existiert. Ob ich möglicherweise kreativer wäre?
Es fühlte sich an wie Frevel. Irgendwie unanständig und unerfreulich. Ich war verstört und schlief im Laufe des Morgens immer wieder unkontrolliert ein. Aber mit der Zeit wurde es tatsächlich besser. Ja, es funktionierte. Ich kam zurecht, sortierte mich neu und fühlte weniger innere Unruhe. Ich bereute es eigentlich nur dann, wenn ich schlecht geschlafen hatte und es nun nichts gab, womit ich meine Nerven versorgen konnte. Also kaufte ich Grüntee für solche Tage. Und lernte ihn lieben – ein würdiges Getränk für schwierige Morgen. Es wirkte sich auf meine kreative Arbeit aus, der Übergang vom Schlafen ins Arbeiten war nun ruhiger. Wie eine Blüte, öffnete sich mein Gehirn organisch dem Arbeitsprozess, ohne Paukenschlag, nach dem man sich erstmal sammeln muss.

Microdosing

Aber trotzdem fehlte etwas: der Geruch und Geschmack von Kaffee. Ich habe schon immer gerne frisch gemahlenen Kaffee geschnüffelt, ein Geruch, der zum Kern meiner kaffeesüchtigen Familie gehört. Und ich wünschte ihn mir sehnlichst wieder in Tässchen-Form. Und siehe da, koffeinfreier Kaffee riecht ebenfalls vorzüglich! So begann ich gelegentlich eine Tasse feinsten Kaffee zu trinken: biologisch, italienisch, entkoffeiniert. Wenn ich besonders müde war, mischte ich eine Löffelspitze normalen Kaffee unter – und so begann das Microdosing, also das Experimentieren mit kleinen Dosen Koffein, viel kleiner, als normal. Ein erfreuliches Ritual. Inzwischen trinke ich jeden Morgen eine Tasse Kaffee, je nach Verfassung höher oder niedriger dosiert. Die Spannweite reicht von einer klitzekleinen Prise Koffein bis etwa zur Hälfte des Kaffeepulvers. So bin ich nur ein bisschen süchtig und passe die Koffeinzufuhr täglich dem realen Bedarf an, personalisierter Kaffeekonsum sozusagen, immer mit dem guten Gefühl, sich nicht umzubringen. Mit der winzigen Dosis wecke ich mich ein klein wenig unsanfter, aber immer noch unaufgeregt genug, um ohne Probleme in den Kreativprozess hinüberzugleiten.

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