deborah-levy-augustblau
Literarische Vorkost
Man muss nicht alles selber machen. Bücher lesen zum Beispiel.

Datum

von Angelina

Ich kaufe viele Bücher. Es passiert einfach ständig, dass ich in einer Buchhandlung stehe und denke “das klingt interessant” und da ich mich bei Büchern nicht einschränke, kaufe ich es. Es gibt sinnlosere Hobbys, denke ich. Und teurere. Mittelalter-Fan sein zum Beispiel. Oder Geo-Caching. Oder Golf. Zum Lesen brauche ich keine Ausrüstung, ich muss nirgendwo hinreisen und mich auch nicht vorbereiten. Und so kaufe ich Bücher, wenn sie mich interessieren. Manchmal interessieren mich auch Menschen und dann möchte ich ihre Bücher lesen. Manchmal redet jemand gut (oder auf die richtige Art schlecht) über ein Buch und dann möchte ich es lesen. Und so wandert Buch für Buch in meine Tasche und später ins Regal. Sobald sie dort angelangt sind, verschwindet mein Interesse auf wundersame Weise an ihnen. Und es passiert das, was man in Japan Tsudoku nennt (“dass man Lektüre erwirbt, welche sich dann aber zu Hause stapelt, ohne gelesen zu werden” – Wikipedia).

Und dafür gibt es Gründe. Jedes Buch, das ich lese, beeinflusst mich und das macht es zu einer potenziellen Gefahr. Ich möchte nicht, dass sich ein fremder Schreibstil auf mein Schreiben auswirkt, es sei denn, ich finde ihn uneingeschränkt gut. Ich möchte nicht, dass ich vom Aufbau einer Geschichte beeinflusst werde, die mir vielleicht gar nicht so gut gefällt. Ich möchte nicht, dass sich bei mir unbeobachtet etwas einschleicht. Kurz: Ich schütze mein Unterbewusstsein. Vor Vergiftung. Und an dieser Stelle kommt der literarische Vorkoster ins Spiel. Sämtliche Bücher, die bei uns einziehen, werden von meinem Mann gelesen. Er hat ein dickeres Fell als ich und ein hohes Lesetempo. Zu jedem Buch gibt er eine Empfehlung ab und mich interessieren besonders zwei Punkte.

  1. Kommt Gewalt darin vor und ist sie detailliert beschrieben? (Ich bin eine sanfte Seele)
  2. Wie ist der Schreibstil und ist die Geschichte gut? (Positiver Einfluss?)

Ist eine Geschichte gewaltsam und nicht überzeugend, wird sie direkt entfernt. Ist sie gewaltsam und trotzdem sehr gut, stelle ich sie ins Regal für einen unbestimmten Moment in der Zukunft, in dem ich mich besonders stark fühle (never happened so far). Spielt Gewalt keine Rolle und er hat das Buch gerne gelesen, kommt es in die enge Auswahl für mein nächstes zu lesendes Buch. Meistens dauert es dann noch einmal ein Jahr bis ich es dann tatsächlich lese, aber das liegt daran, dass ich immer mehrere Bücher gleichzeitig lese und zwar unfassbar langsam und sehr genau.

So kommt es, dass mein Mann fast alle Bücher gelesen hat, die wir haben, und ich nur einen kleinen Teil. Ihm geht ständig der Lesestoff aus und mich überfordert die schiere Menge an ungelesenen Büchern an manchen Tagen. Ich behalte auch die gewaltarmen Bücher, die er schrecklich findet, um zu sehen, ob ich es auch so empfinde. Wir sind nicht immer einer Meinung. Es gibt Bücher, die gefallen mir, aber ihm nicht. Proust zum Beispiel. Es ist eine ganz bestimmte Art von Buch, die ihm nicht gefällt, aber mir zusagt: Romane, die sich einem nur öffnen, wenn man sie sehr konzentriert liest und mit viel Geduld. An der Grasnarbe von Mirjam Wittig zum Beispiel. Und so scheiden sich auch bei uns die Geister, obwohl wir eine grosse Schnittmenge haben. Mir ist viel erspart geblieben durch seine Vorkost und ich lege ihm weiterhin jedes neue Buch zuerst hin.

Mehr
Beiträge

Autorenpost

Lies meine Texte bevor sie veröffentlicht werden und erhalte alle zwei Monate einen Bericht aus dem schönen und schrecklichen Autorenleben.