„Das war schon immer so“, behaupten Menschen, die ihre Erkenntnis aus der Gewohnheit ziehen, für die das Vertraute auf natürliche Art “wahr” ist. Beziehungen finden zwischen Männern und Frauen statt, nur schon weil die Geschlechtsteile so gut zusammenpassen. Männer mögen Baustellen und gehen fremd. Frauen mögen Kinder und sind besessen von Kleidern. Jungs mögen Hellblau, Mädchen mögen Rosa. Alles, was davon abweicht, ist unnatürlich. Aber was ist, wenn es früher genau andersrum war? Ist das ein Fehler in der Geschichte, oder liegt dann die Gegenwart falsch?
ROSA für die bevorzugten Jungs
»In einem Artikel der New York Times über Babykleidung aus dem Jahr 1893 wurde die Regel aufgestellt, dass man »einem Jungen immer Rosa, einem Mädchen immer Blau anziehen« soll. Weder die Autorin noch die von ihr interviewte Verkäuferin waren sich sicher, weshalb, aber die Autorin wagte eine augenzwinkernde Erklärung: »Die Aussichten von Jungen sind so viel rosiger als die von Mädchen«, schrieb sie, »dass es genügt, ein Mädchen babyblau zu kleiden, um es auf das Leben als Frau in der Welt vorzubereiten.« 1918 bekräftigte eine Handelszeitschrift die »allgemein anerkannte Regel«, denn Rosa sei eine »viel entschiedenere, stärkere Farbe«, wogegen Blau »zarter und niedlicher« wirke.« (Kassia St Clair, Die Welt der Farben)
BLAU für die Jungfrau Maria
Rosa ist zarte Stärke, und männlich – so nämlich! Schliesslich erinnert es an Blutflecken (heimkehrender Soldaten) – ja, ja. Und es ist so viel entschlossener als Hellblau.
»Rosa ist schließlich nur blasses Rot, das in der Ära, in der Soldaten scharlachrote Mäntel und Kardinäle rote Roben trugen, die männlichste Farbe überhaupt war; Blau dagegen war unverkennbar der Jungfrau Maria zugeordnet.« (Kassia St Clair, Die Welt der Farben)
Irgendwann muss Rosa zur schwächeren Farbe erklärt worden sein und wahrscheinlich ist das schleichend passiert. Begonnen hat die Umdrehung wohl in den 1940er Jahren, die Gründe dafür sind nicht ganz klar. Es hat vermutlich etwas mit Matrosenanzügen, der Jeans, der Barbie und möglicherweise auch mit der Brandmarkung von Homosexuellen während der Hitler-Zeit zu tun.
Als Kind hatte ich keine Barbie und keine rosafarbenen Kleider. Nur mein Bruder trug rosa Socken, weil er all seine weissen mit einem Paar roten gewaschen hatte. Wir hatten auch keinen Fernseher, Disney existierte für uns nicht. Trotzdem finde ich Rosa hübsch, eine wunderschöne Farbe. Weg mit der Politik möchte man sagen. Weil das nicht so einfach geht, schaffe ich mir Zuhause ein Refugium, in dem die Farben frei sind. Das wirkt sich auch auf meine anderen Beziehungen zu Farben aus. Ich lerne Lila mögen und arbeite bereits an meinem Verhältnis zu Senfgelb.